Echtzeit-Gesichtserkennung und Kfz-Scanning in Sachsen und Berlin

Mit einem leistungsstarken Observationssystem werden Kfz-Kennzeichen und Gesichtsbilder von Fahrern aufgenommen und mit einer Fahndungsdatenbank abgeglichen.

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Halbes Gesicht einer weißen Frau, darüber gelegt symbolische Rasterung

Sachsen und Berlin setzen Gesichtserkennung ein.

(Bild: Fractal Pictures/Shutterstock.com)

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Die sächsische Polizei hat ein heimliches Überwachungssystem mit hochauflösenden Videokameras und biometrischer Gesichtserkennung entwickeln lassen, die quasi in Echtzeit arbeiten. Dieses wird mittlerweile nicht nur in Sachsen vor allem im grenznahen Raum eingesetzt, sondern auch in Berlin. "Bei der Staatsanwaltschaft Berlin ist in zwei Verfahrenskomplexen im Bereich der grenzüberschreitenden Bandenkriminalität Gesichtserkennungssoftware eingesetzt worden", erklärte die Berliner Innensenatsverwaltung bereits Anfang März auf eine Anfrage der AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. "Der Einsatz erfolgte unter Nutzung von Sach- und Personalmitteln, die in Amtshilfe zur Verfügung gestellt wurden." Wie jetzt herauskam, erfolgt der biometrische Abgleich mit Fahndungsdateien dabei nahezu live.

Für die Ermittlungen in Berlin stellte das sächsische Landeskriminalamt (LKA) über seine Regionalstelle in Görlitz ein Amtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt. Dies bestätigte das Berliner Innenressort laut dem Portal Netzpolitik.org in der Antwort auf eine entsprechende Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schrader. Das Observationssystem, das Sachsen als geheim eingestuft haben soll, nimmt demnach Nummernschilder von vorbeifahrenden Kfz sowie Gesichtsbilder von Fahrern und Beifahrern auf. Das System könne Gesichtsbilder "mit der zeitlichen Verzögerung von wenigen Sekunden" verarbeiten, hatte die Berliner Staatsanwaltschaft zuvor bereits dem Neuen Deutschland (ND) mitgeteilt. Alle im Umkreis erfassten Personen würden mit Bildern von Tatverdächtigen aus einem konkreten Ermittlungsverfahren abgeglichen. Entdecke die Software eine verdächtige Person, werde der Fund durch einen Polizeibeamten überprüft.

Das System habe hochauflösende Kameras, "die qualitativ sehr gute Bilder auch bei Dunkelheit und unter schlechten Witterungsbedingungen erstellen können", führte der Berliner Innensenat nun dem Bericht zufolge aus. In dem einen Fall werde wegen einer "internationalen Kraftfahrzeugverschiebung" ermittelt, in dem anderen wegen schweren Raubes an einer Tankstelle. Diese Tat werde einer Organisation zur Last gelegt, die "regelmäßig bandenmäßig schwere Tresordiebstähle" an einschlägigen Kraftstoff-Versorgungsanlagen durchführe. Die Technik beruht offenbar auf dem für die sächsische Polizei entwickelten Personen-Identifikations-System (PerIS). Dieses wird seit 2019/20 im Freistaat genutzt. Innenminister Armin Schuster (CDU) lobte Ende 2023: Ihm sei "zumindest im europäischen Raum bis dato" kein vergleichbar leistungsstarkes System bekannt.

Live-Gesichtserkennung galt bei den Verhandlungen über die neue KI-Verordnung der EU lange als besonders heißes Eisen. Das EU-Parlament forderte anfangs ein Verbot biometrischer Massenüberwachung, die Mitgliedsstaaten wollten davon aber nichts wissen. Die finale Fassung sieht vor, dass eine Echtzeit-Identifikation "zeitlich und örtlich begrenzt" möglich sein soll zur gezielten Suche nach Opfern von Entführungen, Menschenhandel und sexueller Ausbeutung oder zur Abwehr "einer konkreten und gegenwärtigen terroristischen Bedrohung". Als weiterer Zweck wird die Lokalisierung oder Identifizierung einer Person genannt, die im Verdacht steht, eine Reihe schwerer Straftaten begangen zu haben. Eine echte Hürde stellt dabei Einschränkung auf das "unbedingt erforderliche Maß" Kritikern zufolge aber nicht dar: Auf der Suche etwa nach einem Verdächtigen könnte letztlich das ganze Land abgedeckt werden.

Als Rechtsbasis für den biometrischen Datenabgleich gibt der Berliner Innensenat Paragraf 98a der Strafprozessordnung (StPO) an. Dabei geht es um die Rasterfahndung bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung, wenn andere Methoden erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert wären. Die Staatsanwaltschaft der Hauptstadt sieht in den Observationen "keine flächendeckende Überwachung". Der Frankfurter Strafrechtler Tobias Singelnstein hält Netzpolitik.org zufolge dagegen: "Eine solche Maßnahme greift in erheblichem Maße in die Rechte von völlig Unbeteiligten ein, weil je nach Umständen eine Vielzahl von Personen erfasst wird." Die StPO erlaube dies nicht. Schrader moniert zudem: "Indem sich Berlin entsprechende Technik aus Sachsen ausleiht", würden schrittweise die Voraussetzungen geschaffen, diese flächendeckend zu verwenden.

(nie)